
Stratifizierung von Samen – so gelingt der Anbau von Kaltkeimern
Bei der Kalt-Stratifikation werden Samen über eine gewisse Zeit gezielt kalten Temperaturen ausgesetzt. Besonders Samen von Bäumen und Sträuchern benötigen eine solche Kaltphase, um richtig keimen zu können. Warum das so ist und wie Sie Samen selber stratifizieren, erfahren Sie in diesem Artikel.
Nicht alle Pflanzensamen sind sofort nach der Ernte auch keimfähig. Die sogenannten Kaltkeimer benötigen noch einige Zeit und vor allem die Kälte der Wintermonate, bevor sich die ersten Keimlinge zeigen. Dabei handelt es sich nicht etwa um Zufall, sondern um einen Selbstschutzmechanismus, um den Winter zu überleben.
Typischerweise ist dies bei Sträuchern und Gehölzen der Fall, die ursprünglich aus kalten bis gemässigten Klimazonen stammen. Viele der heimischen Gehölz- und Straucharten, darunter Haselnusssträucher, Eichen, Buchen, Eiben und Walnusssträucher, zählen ebenso zu den Kaltkeimern wie der Hopfen oder die aus Nordamerika stammende Cranberry.
Die Keimhemmung – natürlicher Mechanismus zum Schutz von Pflanzensamen
Grund für die Keimhemmung ist die Art, wie sich viele Kaltkeimer in der Natur verbreiten. Nachdem ihre Samen im Herbst durch Vögel oder Säugetiere verstreut wurden, verbringen sie den Winter im Erdboden, bevor sie im Frühjahr keimen. Würden sie zu früh keimen, hätte die Winterkälte fatale Folgen für die Jungpflanzen.
Für Hobbygärtner hingegen stellt es ein Ärgernis dar, wenn die selbst geernteten Samen im Frühjahr nicht keimen wollen, weil sie sich noch in der Samenruhe befinden. Zum Glück lässt sich die Keimhemmung auch künstlich aufheben – dieser Prozess nennt sich Stratifikation oder Stratifizierung.
Die Stratifikation von Samen hat den grossen Vorteil, dass weniger Unregelmässigkeiten im Keimverhalten auftreten. Indem sie Samen stratifizieren, sorgen Gärtner und Gartenbaubetriebe dafür, dass alle Pflanzensamen ungefähr zur selben Zeit keimfähig sind.

Ein Vertreter der Kaltkeimer ist die Haselnuss

Viele heimische Bäume wie die Eiche sind Kaltkeimer

Auch die Cranberry gehört zu den Kaltkeimern
Arten der Keimhemmung – nicht immer ist Stratifikation nötig
Je nach Pflanzenart wirken mehrere Mechanismen, um zu vermeiden, dass Samen zu früh keimen. Beispielsweise enthält das Fruchtfleisch von Beeren- und Steinfrüchten oft organische Säuren wie die Abscisinsäure, die verhindern, dass darin befindliche Samen verfrüht keimen. Diese Form der Keimhemmung ist relativ simpel zu durchbrechen: Rotten die Früchte für einige Zeit an, lässt sich das Fruchtfleisch problemlos entfernen.
Anders verhält es sich bei Pflanzen, deren Samen durch chemische Verbindungen in der Samenschale, im Nährgewebe oder im Keimling selbst am Keimen gehindert werden. Die biochemischen Reaktionen, die diese hormon- oder enzymähnlichen Stoffe abbauen, benötigen zwingend einen ausreichend langen Kältereiz, um zu funktionieren.
Gelegentlich handelt es sich bei dieser Art von Kaltkeimern zudem um Pflanzen, deren Embryonen nach der Samenreife noch nachreifen müssen oder deren Samenschale so hart ist, dass der Keimling sie nicht durchbrechen kann, ohne dass sie vorher von der Witterung abgetragen wurde. Dies muss bei der Stratifizierung berücksichtigt werden, um keimfähige Samen zu erhalten.
Verfahren zur Stratifizierung – auch daheim ist dies möglich
Das Verfahren, mit dem Gärtner und Gartenbaubetriebe Samen stratifizieren, ist seit langer Zeit grossteils unverändert geblieben. Bei der Kalt-Stratifikation werden Pflanzensamen in ein mit Estrichsand oder einem Sand-Gemisch gefülltes Behältnis gegeben, mit einem feinmaschigen Drahtnetz abgedeckt und bei Temperaturen zwischen 2 und 8 °C der Witterung ausgesetzt. War es früher noch üblich, die Samen schichtweise einzulagern, was den Bezug zum lateinischen „stratum“ (deutsch: „Schicht“) erklärt, so werden heutzutage die Samen und das Substrat in der Regel einmal pro Woche mit einer Schaufel vermengt.
Für kleinere Mengen Samen empfiehlt es sich stattdessen, diese im Kühlschrank zu stratifizieren. Füllen Sie dazu einen Gefrierbeutel oder ein offenes Glasgefäss mit Ihrem Substrat und einigen Samen und stellen Sie das Behältnis in das Gemüsefach Ihres Kühlschranks. Halten Sie das Gemisch stets feucht und vermengen Sie es einmal wöchentlich durch Schütteln oder mit der Hand.
Bei besonders hartschaligen Samenarten ist es zusätzlich vonnöten, die Schale vor der Stratifikation aufzuweichen. Dazu werden die Pflanzensamen vor der Kalt-Stratifikation für einige Wochen im Wasserbad einer Temperatur von etwa 20°C ausgesetzt. Dies erleichtert der Samenschale das Aufquellen, sodass sie sich im Substrat leichter abreibt. Dieses Verfahren und die anschliessende Kalt-Stratifikation sind gemeinsam als Warm-Kalt-Stratifikation bekannt.



Bei der Kalt-Stratifikation werden die Samen in Sand oder ein Sandgemisch kühl gestellt. Dadurch wird die natürliche Kältephase nachgebildet.
Weitere Tipps zur Stratifizierung
In der Regel sind mehrere Wochen Kältebehandlung notwendig, damit kaltkeimende Pflanzensamen im Frühjahr keimen. Die genaue Dauer unterscheidet sich dabei von Pflanzenart zu Pflanzenart. Bei einzelnen Arten wie der Zaubernuss (Hamamelis) kann sie sogar bis zu 30 Wochen betragen. Während dieser Zeit sollten die Samen mindestens einmal wöchentlich auf Keimlinge kontrolliert werden. Sind die erste Sprosse zu sehen, stehen meist auch die restlichen Samen derselben Art kurz vor dem Austrieb.
Sind Pflanzensamen zu früh reif für die Aussaat, kann die Keimung unterbrochen werden, indem die Samen bei einer Temperatur von -2 bis -4 °C wieder in den Winterschlaf versetzt werden. Dies ist zu kalt zum Keimen, jedoch noch warm genug, um das Saatgut nicht zu schädigen. Umgekehrt kann bei Samen mit besonders starker Keimhemmung die Stratifikation über den Sommer unterbrochen werden – die Samen setzen in diesem Falle den Abbau der keimhemmenden Stoffe im kommenden Winter fort.