
Der Tannenzapfen – eine geniale Erfindung der Natur
Genau wie Laubbäume versuchen auch Nadelbäume, ihre Samen möglichst weit zu verbreiten. Dabei gehen sie jedoch einen etwas anderen Weg: Anstatt Früchte mit Samenkapseln zu bilden, sitzen die Samen bei Tanne, Fichte, Kiefer und Co. offen unter den Schuppen ihrer Blüten- und Fruchtstände, der sogenannten Zapfen.
Fossilienfunde belegen inzwischen, dass dieser Mechanismus sich seit mindestens 360 Millionen Jahren bewährt. Welche Aufgabe die Zapfen erfüllen, warum sich gerade dieses System bei Nadelbäumen noch immer hält und warum Sie wahrscheinlich noch nie einen echten Tannenzapfen gefunden haben – all das verraten wir im Folgenden!
Zapfen und Blüten – gar nicht so verschieden?
Rein optisch würde wahrscheinlich niemand darauf kommen, dass Tannenzapfen und Blütenstände viel gemein haben. Dies ist jedoch ein Trugschluss. Nadelbaumzapfen teilen überraschend viele Merkmale mit den Blüten von Laubbäumen – nur dass Erstere robuster sind, um die ansonsten schutzlosen Samen bis zur Reife vor Umwelteinflüssen und Fressfeinden zu bewahren. Der Grund für diese Ähnlichkeit: Bedecktsamer («Angiospermen»), deren Blüten zu Samenkapseln heranreifen, haben sich vor rund 140 Millionen Jahren aus damals existierenden Nacktsamern («Gymnospermen») entwickelt. Letztere verfügten zu diesem Zeitpunkt bereits über Strukturen, die den Zapfen heutiger Nadelbäume ähnelten.
Die Zapfen von Nadelbäumen bestehen aus einer verholzten Spindel in der Mitte und zahlreichen Schuppen, die davon abgehen – ihrem Äquivalent zu Blütenblättern. Sie sind in der Regel getrenntgeschlechtlich, einhäusig und bis zur Befruchtung grün und relativ klein. In der Blütezeit bilden männliche Zapfen grosse Mengen Pollen; die Bestäubung erfolgt durch den Wind. Anschliessend fallen die männlichen Zapfen zu Boden, während sich die weiblichen zu den im Volksmund als «Tannenzapfen» bezeichneten, meist dunkelbraunen Zapfen heranreifen und Samen bilden – ein Prozess, der je nach Art bis zu drei Jahre dauert.

Nadelbaumast mit Zapfen

Junge, weibliche Fichtenzapfen

Männlicher Pinienzapfen mit Pollen
Gut geschützt bis zum perfekten Flugwetter
Da die Samen der meisten Nadelbäume vom Wind verstreut werden, sind sie stärker als Laubbäume auf die richtigen Bedingungen angewiesen, um sich auszubreiten. Damit ihre Samen nur bei optimalem Flugwetter verstreut werden, haben sie ein ausgeklügeltes System entwickelt, das vom Funktionsprinzip her einem Bimetallstreifen ähnelt.
Die einzelnen Schuppen eines Nadelbaumzapfens bestehen aus zwei verschiedenen Arten von Gewebe, die unterschiedlich auf Feuchtigkeit reagieren. Während das untere Segment Wasser absorbiert und bei hoher Luftfeuchtigkeit bis zu 20 % länger wird, behält der obere, stabilere Teil der Schuppe seine Form. Dies führt dazu, dass die gesamte Schuppe durch ihre eigene Spannung nach oben gedrückt wird. Ist es hingegen trocken, trocknet auch der untere Teil der Schuppe aus – der Zapfen öffnet sich und ist bereit, seine Samen zu verstreuen.



Die Vielfalt der Tannenzapfen reicht je nach Stadium von jungen, grünen oder farbenfrohen Zapfen bis zu reifen Exemplaren und ihren faszinierenden Details.
Sonderfall Tannenzapfen: Deshalb werden Sie sie nie am Boden finden
Nach dem Verstreuen ihrer Samen fallen die Zapfen von Fichte, Kiefer und Lärche in der Regel im Ganzen vom Baum ab – sie sind es also, die man in unseren Wäldern findet und oft fälschlicherweise als Tannenzapfen bezeichnet. Echte Tannenzapfen hingegen werfen ihre Schuppen mitsamt der Samen einzeln ab.
Die Chance, durch Zufall ein vollständiges Exemplar zu finden, ist deshalb extrem gering. Anstatt ihre Zapfen im Ganzen abzuwerfen, verbleibt bei Nordmann-Tannen, Nobilis-Tannen und anderen Arten der Gattung die Spindel mindestens so lange am Baum, bis sie ihre Schuppen und Samen komplett losgeworden ist. Zu diesem Zeitpunkt ist sie leider wenig dekorativ – wer «Tannenzapfen» zum Basteln von Herbst- oder Weihnachtsdeko sammeln möchte, muss sich also mit Fichten- oder Kiefernzapfen zufriedengeben.